Selbsthass im Zauberwald
Pubertierender Flausch: Die Comic-Zeichnerin Moki erzählt eine stille, beeindruckende Geschichte übers Erwachsenwerden inmitten verzauberter Landschaften. (veröffentlicht auf zeit.de)Die Verwandlung kommt über Nacht. Seltsame Wesen, die zwischen dunklen Tannen oben auf dem Berg wohnen, haben sie veranlasst. Und so findet sich der koalaartige Waldgeist auf einmal in einem fremden, falschen Körper wieder: dem eines Fuchses, mit buschigem Schweif, spitzer Schnauze und viel zu langen Gliedmaßen. Welch ein Drama! Fassungslos blickt die noch kindliche Seele des Geistes seine neue Hülle aus der Vogelperspektive an – um sich sogleich unter Waldlaub zu verstecken. Niemand soll ihn so sehen. Mit Zombie-Blick und zunehmend zerzaust stolpert der Fuchs fortan ziellos durch den Wald. Der verzweifelte Versuch, vor sich selbst wegzulaufen, ein missratenes Körpergefühl, Selbsthass bis zur Selbstzerstörung: Es ist klassischer Coming-of-Age-Stoff, der in Wandering Ghost erzählt wird. Aber auf ziemlich unklassische Weise. Denn die Künstlerin Moki kommt in ihrem Comicband komplett ohne Worte aus. Einzig die dunkelbraun-weißen Bilder tragen durch die Geschichte. Und was für Bilder! Verschlungene Fels-, Wolken- und Pflanzenstrukturen bilden einen Zauberwald voller fließend-organischer Formen. Flauschige Fabeltiere mit neugierigen Augen wuseln hier umher. Manchmal ist es aber auch sehr ruhig. Ohne jegliche Hetze und damit umso intensiver wird der schwere Weg in die Pubertät beschrieben. Mitunter werden ganze Doppelseiten für Panoramapanels freigeräumt, in denen dann einzelne Figuren dutzendfach zu sehen sind, so dass man dem Vergehen der Zeit zuschauen kann – eine Technik, die Moki auch in anderen ihrer Werke verwendet und die an japanische Emakimono-Rollen erinnert, frühe Vorfahren der Manga. Überhaupt, Japan: Auch viele der Landschaften und Bäume Mokis haben einen japanischen Einschlag, ihre Welten und ihr großer Respekt vor der Schönheit der Natur atmen den animistischen Geist des japanischen Shinto-Volksglaubens und die vielfachen Einflüsse des Anime-Regisseurs Hayao Miyazaki sind unverkennbar. Schon 2006 gewann die heute 28-jährige Moki für Asleep in a foreign place den Comicpreis Sondermann in der Newcomer-Kategorie. 2007 diplomierte sie mit der Arbeit To disappear completely in Hamburg im Fach freie Kunst. Die Bildsprache und das Themenspektrum ihrer Acrylbilder, Street-Art, Stoff-Figuren, Installationen, Fotografien und Comics sind so markant wie eigenwillig: moosbewachsene, verschachtelte, verzauberte Landschaften, in denen traurige amorphe Riesen und gütig blickende Pelzmonster einsam herumsitzen. Dazu kommt ein Faible für Außenseiter, verlorene Gestalten, auch der Wunsch, sich zu verstecken, ist oft Thema der Synästhetikerin Moki, die selbst scheu lebt. Fotos von ihr sind selten, bei Perfomances tritt sie mit Masken und Kostümen auf. Die Künstlerin und das Storytelling. Viel ist da nicht, viel soll da aber auch nicht sein. So mag Wandering Ghost für manchen nicht mehr als eine 88-seitige Zeichenstudie von Waldlandschaften zum Selbstausmalen sein. Wer aber in seiner Freizeit auch gerne mal eine Viertelstunde damit verbringt, einem Käfer oder einem Spatz bei seiner täglichen Arbeit zuzuschauen, der sollte sich mit Moki auf diese Märchenreise für Erwachsene begeben. Und sich darüber freuen, dass der Waldgeist – was hier ruhig verraten werden kann, denn um die Handlung oder irgendwelche Spannungsbögen geht es wie gesagt ohnehin nicht – am Ende doch zu sich findet. Kleine Eichhornwesen füttern und päppeln ihn auf dem Weg dahin, so wie er ihnen früher geholfen hat. Die Grenze zum Kitsch wird trotz Freundschaft, Happy End und flauschigen Tieren dabei bis zum Schluss nie überschritten. Moki: Wandering Ghost, Reprodukt, Berlin 2011; 88 S., 16 € |