Der fünftschlechteste Schwertkämpfer

Tom Gauld zählt zu den interessantesten Comiczeichnern seiner Generation. In seinen Werken trifft die viktorianische Zeit auf Strichmännchen und Futurismus. (veröffentlicht auf zeit.de)

Ein Steinzeitjäger holt einen Steinzeitwandmaler von dessen Höhle ab. Wie es läuft, will der Jäger wissen. „Ach, frag nicht“, sagt der Maler, woraufhin sie ein Bier trinken gehen.

Ein Vogel fragt eine Maus, wann sie Vorräte für den Winter sammeln will. „Wenn ich das hier gelesen habe“, sagt die Maus, die Joyce’ Ulysses unterm Arm trägt. Auf dem nächsten Bild liegt sie tot im Schnee.

Zwei Skelette auf einem Pferdekarren voller Totenköpfe klagen einer Krähe, wie monoton ihr Alltag ist. „Ach, ihr Skelette seid immer so negativ“, sagt die Krähe schließlich. „Das ist nicht gut für euch.“

Drei Szenen aus den Zeichnungen von Tom Gauld. Während eine ganze Generation von Independent-Comiczeichnern sich mit ihrer eigenen Biografie und ihrem, meist urbanen, Umfeld auseinandersetzt, zieht sich Gauld lieber in seine eigene Welt zurück. Die ist vielfältig, aber durchaus konsistent, gleichermaßen beeinflusst vom viktorianischen Zeitalter und alten Gemälden wie von Steampunk-Retrofuturismus und Science Fiction. Roboter und große haarige Monster leben in Gaulds Kosmos, auch Steinzeitmenschen, Ritter und Menschen mit Raketenrucksäcken trifft man hier. Sie stehen oft zu zweit oder dritt in kargen Landschaften herum und sagen wenig oder nichts.

„Wenn Helden- und Märchengeschichten in Märchenwelten geschehen, interessiert mich das nicht besonders“, sagt Gauld. „Und wenn ganz normale Sachen in unserer ganz normalen Welt passieren, auch nicht.“ Also verbindet er die beiden Ebenen und versieht sie mit einem tiefgründigen Humor und kluger Beobachtungsgabe – wie auch bei seiner ersten Graphic Novel Goliath, die im Spätsommer in Deutschland bei Reprodukt erschienen ist.

Es erzählt die Geschichte von David und Goliath von der anderen Seite: Goliath ist ein einfaches Mitglied der Armee der Philister, ein stiller, nachdenklicher Mann, der, Selbstaussage, „fünfschlechteste Schwertkämpfer meiner Einheit. Ich mach den Schreibkram. In Verwaltung bin ich ziemlich gut.“ Erst sein Hauptmann sieht in ihm das Mittel, die Feinde zu demoralisieren und schickt den hilflosen Goliath an die vorderste Front, wo er viele der 96 Buchseiten wartet, gemeinsam mit seinem Schildträger.

„Zunächst denkt bei der Geschichte von David gegen Goliath jeder an den Kampf eines kleinen Jungen gegen einen Riesen“, sagt Gauld. „Doch wenn man genauer hinschaut, ist es eigentlich der Kampf eines kleinen Jungen und des allmächtigen Schöpfer des Universums gegen einen Riesen. Und dann bemerkt man erst, wer hier der Underdog ist.“ Wobei es Gauld wichtig ist, dass er David nicht zum Bösewicht macht. „Es ist nicht so, dass Goliath nun der Gute ist und David der Böse. Sie beide sind auf ihre Art Opfer des Systems, und wenn es einen Antagonisten gibt, dann eher den Hauptmann.“

Goliath ist Gaulds erste lange Erzählung. Sonst zeichnet der 36-Jährige, der in London lebt, vor allem Cartoons und Kurzgeschichten, von denen er eine Auswahl bei seinem eigenen kleinen Verlag Cabanon Press veröffentlicht hat. Auch Buchcover und -illustrationen gehören zu Gaulds Arbeitsbereich. Seit sieben Jahren steuert er Woche für Woche einen Comicstrip zur Literaturbeilage des Guardian bei.

Hier tobt er sich auf der Meta-Ebene aus: Mal verarbeitet er die Brontë-Schwestern zu einem Mario-Brothers-artigen Videospiel, mal imaginiert er die Straße, in der Tom Waits aufgewachsen ist, mal zeigt er eine Serie von Cricketbuch-Covern. Für jede Zeichnung hat er exakt 24 Stunden und ein festgelegtes Thema. Das gefällt ihm. „Ich könnte über 900 Millionen verschiedene Dinge einen Comic machen, aber dann sagen sie mir: Es geht um Jane Austen.“

Deadlines helfen ihm, bestätigt Gauld, und die Ideenfindung sei das Schwerste an seiner Arbeit. „Eigentlich liebe ich alles am Comicmachen: Ich liebe es zu zeichnen, das Seitenlayout zu machen, sogar das Lettering und die Kreuzschraffuren. Das kann ich alles genießen, denn dann habe ich den Denkprozess bereits hinter mir – da verbringe ich viel Zeit mit meinem Skizzenbuch und versuche, Teile zusammenzufügen und Sachen geschehen zu lassen.“ Auch wenn man sich das schwer vorstellen kann, wirkt es doch so, als gäbe es die Welten und Wesen, die Gauld darstellt, wirklich irgendwo und er nähme nur die Rolle des dokumentierenden Betrachters ein.

Beeinflusst haben Gauld die Comiczeichner Chris Ware, Daniel Clowes, die Bücher von Magnus Mills und P. G. Woodhouse, zudem hat er als Kind gern mit Lego und Star-Wars-Figuren gespielt. Besonders betont Gauld aber den US-amerikanischen Illustrator Edward Gorey, dessen Arbeiten er während seiner Zeit am Royal College of Art entdeckte und die ihm zeigten, dass „Comics nicht aussehen müssen wie die miesen Fanzines und Superheldengeschichten, die ich bisher kannte“. Er liebe die ausdruckslosen Charaktere, den schwarzen Humor und die Atmosphäre in Goreys Bildern, sagt Gauld: „Jede Zeichnung ist wie eine Mitteilung von einem seltsamen anderen Ort.“

Reduktion und Understatement sind gleichermaßen Konstanten in Gaulds Arbeiten. Auch stilistisch: Er zeichnet mit präzisem, sehr klarem Strich und meistens nur zweifarbig. Den Charakteren wachsen staksige Arme und Beine aus ihren tropfenförmigem Leibern, in ihren runden Köpfen sieht man oft nicht mehr als zwei Augenpunkte, die von Gauld gern genutzten Supertotalen verstärken die Anmutung von Strichmännchen. Dadurch wirken seine ohnehin melancholischen Figuren unwillkürlich harmlos, aber auch ein wenig schüchtern und verloren, selbst die Monster und die vermeintlichen Bösewichte.

Warum das so ist? „Vermutlich, weil ich nicht wirklich glaube, dass Menschen wirklich böse sind und meine Comics ja generell davon handeln, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.“ Deswegen habe er auch noch nie etwas mit einem echten Bösewicht geschrieben. „Es wäre interessant, das mal auszuprobieren.“