Videoclip mit Überlänge
Vor 30 Jahren entdeckte das Popcorn-Kino mit “Tron” den Cyberspace. Die Fortsetzung “Tron: Legacy” hat kaum noch etwas von der avantgardistischen Optik des Originals. (veröffentlicht auf fluter.de)Irgendwo in unseren Computern, in den unendlichen Weiten des Datennetzes – oder nennen wir es doch einfach beim Namen: im Cyberspace – gibt es eine uns unbekannte Parallelwelt. Dort wohnen die Programme, die unsere tägliche Arbeit verrichten. Sie sehen aus wie Menschen, verhalten sich auch so, tragen futuristische Anzüge mit Leuchtapplikationen und leben unter der Herrschaft des despotischen Master Control Programs. Doch ein zufällig in diese Welt geworfener Mensch hilft, das böse Control Program zu besiegen, und sorgt für Frieden in Cyberland. Klingt gaga? Richtig. Und dennoch war dieses Szenario 1982 die Grundlage für einen Kultfilm: “Tron” war der erste Film, in dem im großen Stil Computeranimationen zum Einsatz kamen. Er wurde vor allem dank seiner innovativen Optik zum Meilenstein, für die der französische Comic-Visionär Moebius und der US-Amerikaner Syd Mead, kurze Zeit später Designer des Sci-Fi-Klassikers “Blade Runner”, verantwortlich zeichneten. Nun ist es bei einem Film, der eine Generation von computerbegeisterten Kids geprägt hat, nur eine Frage der Zeit, bis eben diese Kids – erwachsen geworden und in den Film- und Trickstudios Hollywoods angestellt – einen Nachfolger produzieren. Die Geschichte von “Tron: Legacy” knüpft dabei am Original an: Kevin Flynn, Held des ersten Teils sowie Chef und kreativer Kopf der imaginären Softwarefirma Encom, verschwand 1989 spurlos. Zwanzig Jahre später ist Encom ein mächtiger Konzern, Flynns Nachfolger sind kalte Technokraten und sein 27-jähriger Sohn Sam, der offizielle Firmenerbe, hält sich aus dem operativen Geschäft fern und widmet sich lieber Hobbys wie Hacken und Motorradfahren. Bis Sam eine mysteriöse Pager-Nachricht zur alten Spielhalle seines Vaters führt und er dort eine Geheimtür entdeckt. Sie führt in den Keller, wo Kevin Flynn an einem Geheimprojekt arbeitete, der alte 1980er-Jahre-Rechner steht noch angeschaltet da. Was Sam nicht weiß: Auch die Laservorrichtung, mittels derer man sich in das Tron’sche Paralleluniversum schicken lassen kann, ist noch funktionsfähig. Und so passiert es: Sam wird unvermittelt ins Grid (in der deutschen Filmversion etwas schräg als der ”Raster” übersetzt) gebeamt. Dem Ort, an dem die Programme leben, den sein Vater auf- und ausgebaut hat, der beherrscht wird von Clu – einem Computerprogramm, das Kevin Flynn einst selber schrieb. New-Age-Dude in Cyberland Und es ist alles noch da: die leuchtenden Anzüge, die Gladiatorenkämpfe, bei denen sich die Kämpfer per Flugdiskus zu Pixelbrei verarbeiten. Diese wahnsinnig ästhetischen Motorräder mit den Riesenreifen, Lichtrenner genannt. Die fliegenden Greifer. Analog zum Originalfilm wird Sam gefangen genommen und muss sich im Kampf beweisen. Und analog zum Originalfilm kann Sam auf einem der Lichtrenner fliehen. Seinen echten Vater findet er schließlich in den Outlands, der wüsten Landschaft rund um die Schaltzentrale des Grids. Wie schon 1982 hat Jeff Bridges die Rolle des Kevin Flynn übernommen, doch aus dem jugendlichen Draufgänger ist ein New-Age-Dude geworden, mit Vollbart und Muschelarmband, in weiße Gewänder gehüllt. Er ist ein Gefangener im Grid, den Kampf gegen Clu hat er längst aufgegeben. Aber immerhin kann Flynn Senior seinem Sohn erklären, was zu tun ist, um wieder zurück in die richtige Welt zu finden. Und ihm eine Gefährtin zur Seite stellen: das Programm Quorra, eine ebenso hübsche wie begabte Kämpferin. Warum Quorra genau beim alten Flynn lebt und welche Funktion sie sonst ausübt, wird nicht so genau klar. Die Tron-Saga bleibt sich treu: Die Story ist auch diesmal von kleinplanetgroßen Logiklücken durchsetzt, die Schauspielerleistungen sind ähnlich hölzern wie im ersten Teil und auch die pseudoreligiöse Metaebene ist wieder mit drin – interessiert aber keinen. Denn nach spätetens einer Stunde schaltet man ohnehin ab und gibt sich allein den Bildern hin. Düstere Megalopolis Die sind durchaus überwältigend: sei es die Neuinterpretation des Grids, das sich von einem 80er-Jahre-Computerspiel mit großflächigen Polygonen und grünen Gitterlinien in eine düstere Megalopolis verwandelt hat. Sei es die in einen Felsen gehauene Wohnung des alten Kevin Flynn, eine schneeweiße Designhotel-Zahnarztpraxis kombiniert mit Klassikelelementen wie Kronleuchtern und Lederbüchern. Oder sei es die Skybar des zwielichtigen Castor – seinerseits optisch eine Mischung aus der Comicfigur Mad Hatter und dem WikiLeaks-Sprecher Julian Assange – mit Designertheke, fluoreszierenden Cocktails und Daft Punk hinterm DJ-Pult. Das französische Elektronik-Duo, das sich seit 15 Jahren hinter Roboterhelmen vor der Öffentlichkeit versteckt, steuert neben diesem Cameo-Auftritt übrigens auch den Soundtrack zu “Tron: Legacy” bei – beziehungsweise inszeniert Regisseur Joseph Kosinski die Bilder eines 125-minütigen Daft-Punk-Musikvideos. So genau weiß man das nicht. “Tron: Legacy” ist ein bis in die Spitzen gestyleter Triumph der Ästhetik und Oberfläche, und doch verliert der Film am Ende genau dieses Duell gegen seinen Vorgänger. Denn der stammt aus einer Zeit, als Cyber- und Computer-Optik noch etwas Visionäres anhaftete, als die Vorstellung, wie es im abstrakten digitalen Raum aussehen mochte, zu neuen visuellen Konzepten führte. Seitdem hatten wir Cyberpunk, wir hatten Neal Stephensons Metaversum, wir hatten zwei Shrillionen Filme und Computerspiele, die sich auf all das bezogen. Die Geschichte hat “Tron: Legacy” längst überholt, und so geleckt und überwältigend sein Look auch sein mag, geht ihm doch jegliche Innovation ab. Es ist der übliche Verschnitt aus “Star Wars”, “Blade Runner” und “Matrix“, alles tausendfach gesehen – bis hin zur Saturn-Werbung, deren Geiz-ist-geil-Frau problemlos als Schwester von Quorra durchgehen würde. Tron Legacy, USA 2010, Regie: Joseph Kosinski, Buch: Edward Kitsis, Adam Horowitz, mit Garrett Hedlund, Olivia Wilde, Jeff Bridges, Michael Sheen, Bruce Boxleitner, James Frain, Beau Garrett u.a., 125 min, Kinostart: 27. Januar 2011 bei Disney Foto: Verleih |