Wunderwelt im Wolkenzug
Mit viel Hintergrundwissen und einer tollen Collagetechnik geht Arte „Auf Reisen mit Tim und Struppi“. Leider nerven die Banalitäten des Sprechers. (aus der taz vom 21. September 2010)Da hat Arte also mal eben ein neues Genre erfunden: die gefilmte Comic-Interpretationshilfe. Und nichts Geringeres als Hergés „Tim und Struppi“, der Übercomic der frankobelgischen Tradition, wird in dieser Woche in fünf Teilen analysiert. Vier Regisseure haben sich pro Folge je einen der 24 Bände vorgenommen, gemeinsam mit Tim geht es nach Ägypten, Indien, China, Marokko, Peru, Tibet. Vor 70 Jahren, als Reisen noch ein seltener Luxus war, brachte Hergé die Wunder fremder Kontinente in europäische Wohnzimmer. Heute wirken die Schauplätze auch deshalb exotisch, weil wir uns zugleich auf eine Zeitreise begeben, in eine Welt, die noch den Geist der Kolonialreiche atmet und durch die man mit Dampfschiff und Eisenbahn reiste. Schritt für Schritt wird der Handlungsverlauf der Comicbände nachvollzogen, um immer wieder abzuschweifen, Hintergründe und Einordnungen – Comic-Exegese, Landeswissen, Zeitgeschichte – zu vermitteln. Die Aufnahmen der Originalschauplätze werden dabei mit den entsprechenden Comicpanels gegengeschnitten oder, und das ist wirklich ein tolles neues Seherlebnis, in einem Bild collagiert. Manchmal werden Hergés Zeichnungen bloß in Fenster, in Kofferinnenseiten, auf Hochhäuser und Tischflächen eingepasst. Oft aber verschmelzen die Bilder direkt mit dem Filmmaterial. Da haben die Locationscouts und die Bildbearbeiter saubere Arbeit geleistet, so wie insgesamt viel Liebe zum Detail und Geld in der Reihe steckt. Eine eigentümliche Mischung
Überhaupt hat Arte da eine eigentümliche Mischung gebastelt: Versatzstücke aus Reisereportagen, Geschichts- und Naturdokus, dazu Spielszenen, Ichperspektiven, Archivmaterial, üppige Landschaftsbilder, O-Töne von Experten und den Einwohnern der heutigen Schauplätze sowie Originaldokumente, alte Fotos und Bücher. Und was erfahren wir nicht alles: dass die Figur des Professor Bienlein dem französischen Wissenschaftler Auguste Piccard nachempfunden wurde, dass ein Sprengstoffattentat auf eine Eisenbahn in der heute ausgestrahlten Folge „Der blaue Lotos“ einer historischen Begebenheit entspricht, die Japan als Grund für die Eroberung der Mandschurei nahm; dass Lamas zur Familie der Kamele gehören und dass der peruanische „„Wolkenzug“ von Lima nach Jauja die älteste Gebirgsbahn der Welt ist. Bloß die Umsetzung könnte an manchen Stellen gern ein wenig straffer und dichter sein. Speziell die Versuche, mit der nacherzählten Comic-Handlung Spannung zu erzeugen, sind umständlich und eher missraten. Nicht zuletzt dank des Sprechertextes, der teilweise aus unheimlichen Banalitäten besteht – und passenderweise auch noch in einem kinderhörspielartigen, zwischen theatralisch, naiv und salbungsvoll changierenden Sprachduktus vorgetragen wird. Blabla. Jaja.„Seltsam! Tim und der Kapitän sind auf einmal ganz allein im letzten Wagen!“ – „Es ist kein Zufall, dass Hergés Geschichte in diesem Land spielt, durch das der Wind buddhistische Botschaften voller Reinheit und Mitgefühl trägt.“ – Blabla. Jaja. Aber geschenkt. Wenn man nur irgendwas mit Comics oder den betreffenden Ländern anfangen kann, sollte man dieses innovative und äußerst vielseitige Stück Fernsehen unbedingt ausprobieren. „Auf Reisen mit Tim und Struppi“; Arte, Mo., 20.9., bis Fr., 24.9., jeweils 19.30 Uhr |