Unsere fettigen Jahre sind vorbei
Erkundung eines Landes ohne Joghurt: der erste Teil von „Mahlzeit, Deutschland!“ rekapituliert die Mehlschwitzenära.(aus der taz vom 13. Juli 2009)Nach nur acht Sekunden gibt es den ersten Talking Head. Tim Mälzer. Und dann kommen gleich noch Biolek, Dibaba, Wickert, Fuchsberger hinterher, sodass man kurz Angst hat, wieder in einer dieser Clipshows mit Promiuntermalung gelandet zu sein, die auf den Privaten dauernd laufen. Eine unbegründete Sorge: Der Dreiteiler „Mahlzeit, Deutschland!“ hält, was man sich von einer öffentlich-rechtlichen Dokumentation über deutsche Essgeschichte verspricht. Wenngleich die erste Folge „Von der Hungerküche zur Fresswelle“ ein wenig schleppend beginnt: mit der Lebensmittelknappheit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist die Rüben- und Kartoffelzeit, als in Deutschland noch echter Hunger herrschte und Improvisation beim Kochen alles war. Nicht, dass das uninteressant oder unwichtig wäre, bloß hat man das alles schon so oft gesehen, die Nachkriegsjahre sind televisuell nun wirklich auserzählt. Auch die DDR kommt vorAber so ist das halt, erst recht im Grundgesetzjubiläumsjahr 2009. Da müssen en passant ein weiteres Mal die immergleichen Bilder aus dem deutschen Kollektivgedächtnis gezeigt werden: heimkehrende Soldaten, Luftbrücke, Ludwig Erhard, das Wunder von Bern – mit der D-Mark kam die Fresswelle, und der Aufstand des 17. Juni führte zu Lebensmittelfestpreisen in der DDR. Denn auch die kommt vor, in geringerem Umfang zwar als die BRD, aber das ist bei dieser Thematik wohl vertretbar. Nach einer Viertelstunde nimmt der Film dann endlich an Fahrt auf, geht mitten rein in Trend- und Konsumgeschichte und wird vor allem für die Nachgeborenen interessant. Wem ist schon bewusst, dass es zu Beginn der Fünfziger in Deutschland praktisch noch kein Joghurt gab, kein Ketchup und keine Pizza? Dass alles auf Mehlschwitzenbasis (tot)gekocht wurde? Oder dass in nur 7 Prozent der Haushalte ein Kühlschrank stand? Bald danach folgte der Einzug der Wundermaschinen von Bosch & Co. in deutsche Küchen. Die große Zeit der kalten Platten mit russischen Eiern, Schinkenröllchen und viel Mayonnaise begann. Und Clemens Wilmenrod, der charismatische erste deutsche Fernsehkoch und Erfinder des Toast Hawaii, sensibilisierte das Volk für Dosenessen und so exotische Nahrungsmittel wie Nudeln. Liebevoll montiertes ArchivmaterialZwischen die mit sehr viel Sendezeit ausgestatteten Talking Heads – neben den Prominenten sind auch diverse normale Menschen dabei – hat Filmautorin Kathrin Schlichting liebevoll zusammengesuchtes Archivmaterial montiert: Wochenschauen, Werbefilmchen, eine Reportage aus der Bräuteschule. Zudem wird „Mahlzeit, Deutschland!“ durch diverse Animationen und grafische Spielereien aufgelockert, auch wenn die mitunter etwas wahllos wirken. Das alles macht, ähem, Appetit auf mehr. Es folgen „Vom Eisbein zur Pizza“ (20. Juli) – über die Abkehr von deutscher Traditionsküche hin zu Fertignahrung und den Länderküchen der Gastarbeiter – und „Vom Saumagen zum Sushi“ (27. Juli) – mit den Öko- und Diätfoodtrends, der Asienwelle und dem Kochshowboom. Darauf einen Toast Hawaii. |