500 Millionen Freunde
Verrat, Intrigen, Industriespionage und ein Soziopath namens Mark Zuckerberg – die Gründungsgeschichte von Facebook soll großen Kinostoff bieten. Doch “The Social Network” fehlt einfach das Drama. (veröffentlicht auf fluter.de)Es ist 2010 vermutlich nicht zu früh, einen Film über den Gründungsmythos von Facebook zu drehen. Zwar hat sich das Über-Social-Network mit einer halben Milliarde Nutzer so tief in die Internet-Matrix gegraben wie keiner seiner Vorgänger oder Klone – aber wer weiß schon, ob das alles in ein paar Jahren nicht von einem noch nächsteren, noch größeren Ding dahingeweht wird. Also besser beeilen! Blicken wir also zurück, auf den Campus von Harvard zum Jahreswechsel 2003/2004, wo Informatik-Student Mark Zuckerberg in mehreren Wochen intensiver Arbeit das Ur-Facebook schreibt. Virusartig verbreitet sich die anfangs simple Seite und Zuckerberg wird an der Uni zur Berühmtheit. Schon nach kurzer Zeit expandiert er mit Hilfe einiger Freunde, erst an andere Ostküsten-Elite-Unis, dann nach Kalifornien und am Ende in die ganze Welt. Investoren steigen ein, Zuckerberg und seine Crew ziehen ins Silicon Valley – und heute ist der ganze Laden so viel wert, dass Zuckerberg mit seinem 24-Prozent-Anteil als siebenfacher Dollarmilliardär geführt wird. Aber Moment: Das wäre kaum genug Drama für einen Hollywood-Film. Deswegen geht es um Verrat. Zerbrochene Freundschaften. Industriespionage. Hybris. Gleich zwei millionenschweren Prozessen musste sich Zuckerberg in den Folgejahren stellen, sie bilden das Gerüst des Films und werden virtuos mit den Ereignissen 2003/2004 verschränkt: Im einen Fall klagt Eduardo Saverin, der als Facebook-Mitgründer und ehemaliger Studentenfreund Zuckerbergs im Sommer 2004 ausgebootet wurde. Und im anderen Fall das Zwillingspaar Tyler und Cameron Winklevoss, die Zuckerberg vorwerfen, er hätte ihnen die Idee geklaut. Nerds don’t come easy Im Zentrum aller Konflikte steht also Mark Zuckerberg. “Du wirst in dem Glauben durch das Leben gehen, dass Mädchen dich nicht mögen, weil du ein Streber bist. Und ich will dich wissen lassen, dass das nicht wahr sein wird. Es wird sein, weil du ein Arschloch bist”, haut ihm ein Mädchen zu Beginn des Films an den Kopf. Sie irrt. Zwar hat Zuckerberg natürlich diverse schlechte Eigenschaften: seine Arroganz, seine Verbohrtheit, sein Neid auf sozial erfolgreichere Menschen, seine genervten Blicke, wenn jemand seinen Ausführungen nicht schnell genug folgen kann. Bloß: Er meint es nicht so – es ist die Tragik Zuckerbergs, dass er eines der mächtigsten sozialen Tools geschaffen hat, im echten Leben aber offenbar über kaum nennenswerte soziale Empathie verfügt. Er ist der Typ, der auf dem Campus Tennissocken in Badelatschen trägt. Als Zuckerberg in Harvard vor eine Disziplinarkommission gezerrt wird, erwartet er allen Ernstes, dass man ihm dafür dankbar ist, die Sicherheitslücken der Uni-Server aufgedeckt zu haben. Auf einer rationalen Ebene hat er damit recht – aber so funktioniert die Welt der Menschen nicht. Sein Darsteller Jesse Eisenberg gibt ihm mit einer versteinerten Mimik beinahe autistische Züge: Immer wieder gibt er nur stakkatohaftes “Ja”, “Ja”, “Ja” als Antwort. Zuckerberg ist ein Nerd und Nerds don’t come easy. Aber er ist kein Arschloch: Wenig deutet auf die eiskalte Berechnung hin, mit der etwa der Ölmagnat Daniel Plainview in “There Will be Blood” seine Umwelt schikaniert. Und dass er die Winklevosses hintergeht – wenn man es denn überhaupt so auslegen will –, kann Zuckerberg auch kaum jemand übel nehmen: Sie sind Vertreter des alten WASP (White Anglo-Saxon Protestant)-Harvards, schnöselige, elitäre Gentleman-Schönlinge und erfolgreiche Ruderer noch dazu (die echten Winklevoss-Brüder nahmen an den Olympischen Sommerspielen 2008 teil). Zuckerbergs Ideenklau ist also letztlich nichts weiter als die Rache des Nerds am Sportler, dem “Jock”, eine Machtverschiebung zwischen zwei Archetypen der US-College-Welt, die wir in Zukunft noch häufiger erleben werden – denn die Welt steht unzweifelhaft am Beginn einer Ära, in der Computerspezialisten zu einer bestimmenden Kaste werden. Endloses Gerede Den “echten” Mark Zuckerberg lernen wir ohnehin nicht kennen: Das Drehbuch von Aaron Sorkin (Autor der Fernsehserie “The West Wing”) basiert auf Ben Mezrichs Buch “The Accidental Billionaires”. Die Eckdaten der Geschichte sind definitiv wahrheitsgetreu, wie umfangreich die Zuspitzung und Dramatisierung der Charaktere durch die doppelte Adaption ausfällt, ist aber unklar. Keine der beiden Geschichten wurde von Facebook autorisiert, Zuckerberg hat nie mit den Autoren gesprochen – pikanterweise war aber Eduardo Saverin der Hauptberater von Ben Mezrich. Entsprechend ließ Mark Zuckerberg auch demonstrativ verkünden, er hätte ohnehin keine Zeit, den Film zu gucken. Viel verpasst er nicht. Denn selbst wenn Facebook eine Revolution sein mag: Sie bleibt abstrakt. Wo man einen Selfmade-Entrepeneur der Industriezeit mit großen Bildern von Konstruktionsprozessen, Prototypen, Fabrikhallen und Arbeiterkolonnen in Szene setzen kann, sitzen Zuckerberg & Co. halt an ihren Rechnern und hacken irgendwelchen Kram ein. Dazu kommen die rechtlichen Details, und so müssen die Figuren in “The Social Network” beinahe die ganze Zeit erklären, was sie gerade machen, vorhaben oder getan haben. Es wird geredet, geredet, geredet, was Regisseur David Fincher (“Fight Club”, “Benjamin Button”) irgendwann so genervt haben muss, dass er im Vinklewoss-Subplot eine wortlose und visuell überwältigende Sequenz einer britischen Ruderregatta eingebaut hat – die beste Szene des Films. Inszenatorisch holt Fincher ohnehin viel aus dem Stoff raus, aber dennoch: Da ist einfach kein Drama, Baby! Niemand wird sterben, Facebook wird auch nicht pleite gehen, sondern nur immer noch erfolgreicher, es wird an keiner Stelle existenziell. Höchstens der Nicht-Nerd Eduardo Saverin taugt zur tragischen Figur, wenn er verzweifelt mit ansehen muss, wie er – aus unternehmerischen Gesichtspunkten nicht mal ungerechtfertigt – nach und nach aus der Firma gekegelt wird. Ironischerweise spielt sich zeitgleich zum Filmstart von “The Social Network” gerade ein echtes Internet-Drama vor unser aller Augen ab: Die öffentliche Selbstzersetzung von Wikileaks, wo der mysteriöse Julian Assange innerhalb weniger Wochen vom Medienliebling zum gefallenen Engel mutiert ist. Weltpolitik, Geheimdienste, hehre Ideale, Verrat, Medienhype, Vergewaltigungsvorwürfe, Verschwörungstheorien – das ist mal großes Kino. Die Intrigenspiele und Gerichtsverhandlungen wohlhabender Harvard-Kids, bei denen es nur darum geht, wer jetzt noch ein bisschen reicher wird, sind es nicht. (The Social Network) USA 2010, Regie: David Fincher, Buch: Aaron Sorkin, nach der Buchvorlage von Ben Mezrich, mit Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake, Brenda Song, Rashida Jones u. a., 121 min, Kinostart: 7. Oktober 2010 bei Sony Pictures |