Die Metaebene lacht herzlichst

Die Entzauberung des Künstlers bis hin zur Demütigung – das ist das Dauerthema in den extrem reduzierten Kunstbetriebssatiren des Comiczeichers Nicolas Mahler. (veröffentlicht auf zeit.de am 14. Mai 2014)

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In einer dieser typischen Mahler-Szenen sitzt er selbst, groß, hager, mit Brille und langer Nase, während einer Buchmesse an einem verwaisten Signiertisch. Von rechts schlurft ein winziger alter Mann ins Bild, mit letzter Kraft lässt er sich auf den Stuhl vor Mahler fallen, atmet tief durch und fragt nach einigen Minuten: „Und was machen SIE hier?“

Die Entzauberung des Künstlers bis hin zur Demütigung – das ist ein Dauerthema in den autobiografischen Anekdotenbänden, von denen Nicolas Mahler gerade mit Franz Kafkas nonstop Lachmaschine seinen vierten veröffentlicht hat. Es sind kurze, oft sehr komische Geschichten aus den mittlerweile mehr als 25 Jahren, die Mahler, 1969 in Wien geboren und niemals weggezogen, als Comiczeichner tätig ist.

Da erzählt ihm dann die Frau im Hausflur, dass ihr zu Comics immer als erstes Kafka einfalle, „der hat immer recht liebe Figuren erfunden“, bis sich herausstellt, dass sie vom Fix+Foxi-Schöpfer Rolf Kauka spricht. Oder die Besitzerin der Videothek, in der Mahler einst jobbte, sagt: „Na dass es Comics gibt, weiß ich schon … aber dass die auch wer zeichnen muss, das hab ich mir nie überlegt.“

Als Kritik an der Ignoranz der Menschen will Mahler solche Dialoge nicht verstanden wissen. Den Blickwinkel von außen nutzt er vielmehr als Mittel der Selbstironie: Man beschäftigt sich die ganze Zeit mit Zeichnen und dann schauen sich das Leute an, deren Leben sich um ganz andere Dinge drehen. „Daran kann man gut zeigen, dass das, was man selber macht, eigentlich totaler Blödsinn ist“, sagt er. Es seien ja nur Bücher.

Das Hohe und das Niedrige

Mahler liebt es, das ganz Hohe aufs ganz Niedrige runterzuholen und umgekehrt. Vielleicht hat Picasso ja seine blaue Periode nur begonnen, weil blaue Farbe damals so billig war? „Die Gründe, warum etwas so gemacht wird, sind oft erstaunlich banal, und daraus kann man dann schöne Geschichten machen“, sagt Mahler und macht daraus dann schöne Geschichten.

Dafür hat er sich eine recht komplexe künstlerische Nische geschaffen. Denn zunächst einmal ist Mahler ein klassischer Witzezeichner, er produziert Cartoons, etwa für Auto- oder Medizinfachzeitungen, aber auch für die Titanic. Dann hat Mahler einige albenfüllende Geschichten gezeichnet, beispielsweise Engelmann, über den Abstieg eines erfolglosen Superhelden wider Willen, der von der Marketingabteilung seines übermächtigen Verlags zu immer neuen Imagewechseln und schließlich in den Tod getrieben wird.

Ferner gibt es eben die Anekdotenbände, von denen Mahler vor rund zehn Jahren den ersten, Kunsttheorie versus Frau Goldgruber, als Reaktion auf eine Schaffenskrise in nur anderthalb Monaten gezeichnet hat. Und schließlich hat er in den letzten Jahren bei Suhrkamp gleich mehrere Literaturumsetzungen vorgelegt, darunter eine von Robert Musils Mann ohne Eigenschaften und gleich zwei Thomas-Bernhard-Adaptionen. Sie alle sind ziemlich frei ausgelegt, bleiben aber wortgetreu am Originaltext – es wurde nur eben ganz viel rausgestrichen.

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Wer derart an den Rändern des Comicbetriebs irrlichtert, erweckt Unverständnis, und das gleich aus mehreren Richtungen. Von den klassischen Comicfans – „Der kann nicht zeichnen, das ist gewollt unverständlich, das ist verkopft“ lauten die Standardvorwürfe – und vom Kunst- und Literaturbetrieb sowieso. Mahler thematisiert das in Kafkas nonstop Lachmaschine in einer abstrusen Metageschichte, in der dann ein Germanist (man erkennt ihn an seinem mehrfach um den Hals gewundenen Schal) die Romanvorlage und die Comicadaption mit einem Lineal vermisst und zum Fazit „Literarischer Wert stark vermindert“ kommt, während ein gnomenhafter Vertreter des Kunstbetriebs verdutzt fragt „Achso … ‘Lesen’ muss man es auch noch?“.

Auf der Metaebene fühlt sich Mahler wohl und so hat er auch eine Liste der zehn Standardfragen an Comiczeichner zusammengestellt, die er in diesem Jahr in einem Vortrag auf der Leipziger Buchmesse vorstellte: Zeichnen Sie absichtlich so schlecht? Wie lange brauchen Sie für eine Zeichnung? Können Sie davon leben? Woher nehmen Sie ihre Ideen? Solche Fragen.

Aber sind das deswegen auch dumme Fragen? „Naja, dumm kann man nicht sagen“, sagt Mahler, „Aber man kann es vielleicht umdrehen: Würde man einen Schriftsteller fragen, wie lange er für eine Seite braucht?“ Seine Antwort darauf ist dann jedenfalls gar nicht dumm: „Man kann sagen, die Zeichnung dauert 15 Minuten, man kann sagen, sie dauert 25 Jahre. So lange habe ich gebraucht,  bis ich das in 15 Minuten zeichnen kann.“

Wie in so einem modernen Theaterstück

Mahlers Stil ist extrem reduziert, absichtlich. Es hatte ihn immer genervt, dass das Zeichnen so mühsam ist und so lange dauert, und so hat er einen Stil entwickelt, der ihm leicht fällt und mit dem er trotzdem alle seine Gedanken möglichst ohne Umwege zu Papier bringen kann. So zeichnet er mit wenigen Strichen abstrakte Gestalten, sie stehen in einem weißen Nichts, das nur mit den nötigsten Requisiten ausgestattet ist. Wie in so einem modernen Theaterstück, und das passt, denn Thomas Bernhards Der Weltverbesserer, dessen Adaption im Januar erschienen ist, ist ja auch eins. Dass allein schon das Vorhaben, ein Theaterstück zu zeichnen, etwas Absurdes hat, weil es eigentlich für Schauspieler ist, gefällt dem Zeichner: „Das reizt mich dann, dass man das eigentlich nicht macht. Und wenn es schon sinnlos ist, dann muss es für mich eben besonders sinnlos sein.“

Und lustig. Denn lustig sind Mahlers Sachen immer, auch die Literaturumsetzungen. „Nur ernst zu sein, ist mir zu wenig, weil ernst schonmal alles ist“, sagt Mahler, der auch sich selbst als ernsten Menschen bezeichnet: „Es ist wahrscheinlich so, dass ich in der Arbeit diese Leichtigkeit anstrebe, weil mir das Leben nicht leicht fällt.“

9783943143935-333x500Mahler ist ein großartiger Dokumentar der Abseitigkeiten des Alltags, sein Humor funktioniert so gut, weil er so präzise ist. Beim Timing, der Nuancierung des Vergehens der Zeit, die ja immer eine der wichtigsten Entscheidungen beim Comicmachen ist. Und darin, wo in einer Serie von fast gleich aussehenden Bildern, gesprochen und wo geschwiegen wird, und wie sich der gesprochene Text verteilt. „Für mich macht es auch einen Unterschied, ob ein Satz dreireihig geschrieben ist oder in einer langen Textwurst“, sagt Mahler. Man macht sich ja keine Vorstellung, was sich allein durch Typografie alles ausdrücken lässt: Mahler nutzt Versalien, Unterstreichungen, größere Schrift, dickere Schrift, Schreibschrift oder Kombinationen aus alldem. „Dadurch hab ich als Zeichner die Möglichkeit, die Sätze so zu formen, wie ich sie empfinde. So wie es ein Schauspieler auch macht.“

Was dann, wenn eine dieser Mahler-Figuren über Musils Mann ohne Eigenschaften spricht, so aussieht: „Das war in der Studienzeit ein SEHR, SEHR wichtiges Buch für mich.“ Neues Panel. „Der Mann ohne Eigenschaften besteht ja aus ZWEI Bänden.“ Neues Panel. „Und das Geniale daran ist, dass beide Bände GENAU GLEICH DICK SIND!“ Neue Seite. „Da hat man super die PLAYSTATION draufstellen können.“