Mit Jet, Pin und Silikonöl
Für echte Tischfußballer ist Kickern kein Kneipenhobby, sondern ein Präzisionssport. Die boomende Subkultur kämpft um Anerkennung. (veröffentlicht auf zeit.de)Bellende Anfeuerungsrufe dröhnen durch die grün ausgeleuchtete Universal Hall im Berliner Stadtteil Moabit. Wo sonst Firmen feiern oder Messen stattfinden, wird nun das Finale der Tischfußball-Bundesliga ausgetragen. Zwischen 22 Tischen und einer sogenannten „Final Area“ mit Mini-Tribünen und Riesenleinwand hat sich der harte Kern der deutschen Kickerszene versammelt: Etwa 200 Aktive und ein paar Dutzend Besucher. Sehr viele Männer, wenige Frauen. Lustige Tricks – seien es fünffache Übersteiger, gequetschte Bananenschüsse oder der aus dem Kinofilm Absolute Giganten berühmte Torwartheber – sieht man in der Bundesliga hingegen nicht. Dafür ist die Sache zu ernst. Die Atmosphäre entspricht dem selbstgesetzten Anspruch des Leistungssports. Die Vereine heißen Eifelshooters Pillig, TFC Staufenberg oder Foos Connection München. Die Spieler tragen Trikots und lange Trainingshosen. Im FormaliendschungelSportkleidung ist bei der Bundesliga Pflicht, das ist den Offiziellen vom ausrichtenden Deutschen Tischfußballbund (DTFB) sehr wichtig. Seit Jahren kämpft der DTFB um die Anerkennung als offizieller Sport und will sich vom Ruf des lustigen Kneipenhobbys befreien – und ackert sich durch den Formaliendschungel des Deutschen Olympischen Sportbundes. Deutschlands Kickerszene erlebt gerade einen nie dagewesenen Boom. Rund 5.600 Ligaspieler und 12 Landesverbände zählt der stetig wachsende DTFB, dazu kommt eine Turnierserie von der parallel zum DTFB existierenden Spieler-Organisation Players 4 Players mit Gesamtpreisgeldern bis zu 50.000 Euro pro Event. Auch weltweit geht es dank der unermüdlichen Arbeit von ehrenamtlich arbeitenden Funktionären voran, der Weltverband ITSF hat mittlerweile 61 Mitglieder, sogar Indien, Kamerun und die Mongolei sind dabei. Besonders stolz ist man beim ITSF, dass es die größeren Turniere inzwischen als Zusammenfassungen auf Eurosport 2 schaffen – dass der Sender auch die Stein-Schere-Papier-WM und das Hot-Dog-Wettessen von Coney Island zeigt: geschenkt. Ein untergegangenes ReichAuch sonst hat die Kickerszene alles, was eine Subkultur üblicherweise ausmacht: Ein eigenes Vokabular (die Mittelfeldreihe ist die „Fünf“, die Schüsse heißen Jet, Pin oder Pullshot), Stars (etwa den Belgier Frédéric Collignon, der seit Jahren so gut wie kein Spiel mehr verloren hat), Legenden, Fehden und sogar ein untergegangenes Reich: Das stolze Saarland, das jahrzehntelang die Meisterschaften prägte und in dem bis heute mehr als ein Drittel der im DTFB organisierten Spieler aktiv sind; das aber seit einer Tischreform vor einigen Jahren mehr und mehr den Anschluss verliert. Dennoch bleiben das Saarland, Hessen und Bayern – neben einigen Exklaven in Niedersachsen – die traditionellen Hochburgen des deutschen Tischfußballs. Erst langsam holen Hamburg und Berlin auf, wo die Szene eher studentisch geprägt ist. Ostdeutschland ist hingegen noch komplette Kickerdiaspora. Wie bei vielen leicht abseitigen Hobbys hat das Internet der Szene einen unheimlichen Schub gegeben, hat sie vernetzt und vergrößert. Es gibt YouTube-Videos von denkwürdigen Spielen und Tricks, die diversen Verbandsseiten und ein Onlinemagazin namens Zwei Fünf Drei in dem zum Beispiel über die Psychologie der Aufstellung eines Tischfußballteams („Die Mutigen nach vorne“) berichtet wird. Dazu kommen Versandshops für Bälle, Tische, Stangen und Spezialbedarf – etwa Golfhandschuhe und Tennisgriffbänder für mehr Griffigkeit beim Schießen oder Silikonöl für besser laufende Stangen – und vor allem die Foren. Ein JungshobbyHier werden Turniertermine, Trainingsmethoden und der tägliche Tratsch ausgetauscht und seitenlange Diskussionen geführt – über den Vor- und Nachteil eines Griffwechselsystems, neue Bälle (die präziser rollen, weil sie einige Gramm schwerer sind), den Bau von Geschwindigkeitsmessgeräten, Regeldetails – was für Uneingeweihte ungefähr so nachvollziehbar ist wie der Austausch unter Modelleisenbahnern. Seinem Wesen nach ist Kickern ein Jungshobby, 89 Prozent der beim DTFB registrierten Spieler sind Männer. So gesehen entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet eine Frau dem Tischfußball in Deutschland einen enormen medialen Schub gegeben hat: Die Berlinerin Petra „Lilly“ Andres gewann Anfang 2009 mit der deutschen Frauennationalmannschaft die Weltmeisterschaft in Nantes. Danach wurde sie, als bestaussehendes Mitglied des Teams, von den Medien entdeckt und durchgereicht: Abendschau im RBB, Taktikschule auf bild.de., Auftritt bei TV Total. Inzwischen betreibt Andres mit ihrem Partner Johannes Kirsch eine Kicker-Eventagentur – und Firmen können sie für Messeauftritte buchen. Deutscher Mannschaftsmeister wurde beim Bundesliga-Finale am Ende Wild Card Wiesbaden, im Finale gewannen die Hessen gegen die Krökelgemeinschaft Badenstedt Hannover. Das beste saarländische Team landet auf Platz acht. |