Wo ich einmal verloren war

Teil einer sonntaz-Reihe von Kurztexten übers Verlorensein. (aus der taz vom 22. Dezember 2012)

Das erste große Festival in meinem Leben! Mit dabei: Elli, ihr Kumpel und ich. Das Wetter: ein Traum. Dumm bloß, dass niemand mal nachgeschaut hatte, ob im Zeltsack auch Stangen zum Zeltaufbauen waren. Waren sie nicht.

Von einem 17-Jährigen sollte man erwarten, dass ihm das egal ist. Hauptsache, Party und so. Ich war da irgendwie anders. Nicht wissen, wo ich nachts hinkann, panisch werden, aber keinen Rückzugsort haben, um mich herum Zehntausende Leute, das alles erdrückte mich, Stück für Stück. Irgendwann lief ich einfach vom Gelände, bestimmt fünf Kilometer, bis ich unter einem Baum saß, über mir der Endloshimmel der nordniedersächsischen Tiefebene, und heulte. Aus der Ferne erklang Iggy Pop. „Lust for Life“.

Ich fing mich wieder und schaute mir Björk an. Als ich zu dem Ort, an dem wir unsere Ruck- und Schlafsäcke untergestellt hatten, zurückkam, waren sie weg. Auf einem Zettel stand, dass irgendwelche Freunde mit Zeltplätzen angekommen waren. Man hatte mein Gepäck schon mal mitgenommen und wollte mich um Mitternacht beim Freefallingstand treffen. Das war vor einer Stunde! Handys gab es noch nicht. Ich rannte trotzdem hin, wartete, wieder zurück, suchte, vergeblich. Jetzt war ich wirklich lost. Und schlicht zu fassungslos, um wieder die Nerven zu verlieren.

Ich irrte lange, bis ich meine letzte Hoffnung fand: Ellis Freunde, die wir am Nachmittag besucht hatten. Sie waren Zweitsemester in Göttingen, also richtig erwachsene Leute! Und tatsächlich konnte ich jemanden wecken, der mir eine Isomatte und einen Schlafsack gab. Über mir die Sterne. Unter anderen Umständen wäre das jetzt romantisch gewesen.

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