Der schönste Tag

Es ist der letzte Tag von D. in der Stadt und sie hat den Teufelsberg noch nicht gesehen. Nach dem Aufstehen räumen wir ihre Dreimonatswohnung auf, die Vermieter sind in Spanien, weil dort ihr Kind auf die Welt kommen soll. Gemeinsam tragen wir Kisten mit Leergut die Sonnenallee hinab, wann kommt nur endlich diese Araltankstelle? Zum Mittagsfrühstück essen wir Toast und Bruschetta vor dem Rathaus Neukölln, mit Eiskaffee. Überall diese Geranienrabatten, pink und orange! Es ist wie Urlaub in einer BRD-Provinzstadt. In den Achtzigern.

Erst gegen acht kommen wir am S-Bahnhof Grunewald an und laufen zum Berg. Dort ergebnislose Suche nach dem Loch im Zaun, bis auf einmal Leute erscheinen und das massive Kettenschloss am Autozufahrtstor aufmachen. Sie sagen, dass es seit Mai Geld kostet, den Teufelsberg zu besichtigen. 5 Euro. Pro Person. Wir unterschreiben irgendwas, zahlen, egal, wir wollen da jetzt rauf. Außerdem ist alles voller Mücken. Man muss immer in Bewegung bleiben!

Oben ist es so wunderschön wie immer. Post-Atomkrieg-Stimmung. Die Sonne geht über den Tälern des Grunewalds unter. D. malt etwas an eine Wand. Wir trinken Bier, rauchen und knutschen in der Echokammer.

Auf dem Rückweg ist das Tor wieder zugesperrt. Niemand ist zu sehen. Wir rufen. War das nur Fake mit den 5 Euro? Immer in Bewegung bleiben. Die Mücken. Das 3G-Netz ist auf einmal ausgefallen. Wie in so einem schlechten Horrorfilm. Wir finden eine lange Leiter mit Rollen. Wie bei Monkey Island! Als wir sie zum Tor schieben, kommen uns Leute entgegen. Sie erklären uns, wo das Loch im Zaun ist.

Es dämmert sehr, als wir den Berg runtergehen. Zwanzig Meter vor uns steht es etwas Großes am Weg. Es springt ins Gebüsch. Ein Wildschwein! Es ist nicht mehr zu sehen, grunzt aber laut. Es klingt nicht glücklich. D. klammert sich an mich. Sie hat doch sonst nie Angst. Warum jetzt? Ich will weitergehen

Es fürchtet sich genau so sehr wie wir, meine ich. Das kann uns töten, meint D. Aber zurück wollen wir doch auch nicht. Wir gehen langsam weiter. Wenn wir langsam gehen, denkt es, wir schleichen uns an, meint D. Hm.

Plötzlich laufen in einiger Entfernung zwei Füchse über den Weg. Füchse? Nein. Frischlinge, recht große schon. Die Bache im Wald grunzt mit Nachdruck. Und jetzt? Trotzdem gehen – sage ich. Hoffentlich queren keine weiteren Frischlinge, wenn wir genau an der Stelle sind – denke ich.

Wir gehen weiter. Es grunzt. Mehr nicht. Vorbei. Weil uns das Schwein den Weg nach rechts abgeschnitten hat, laufen wir zurück zum S-Bahnhof Heerstraße. Wir kabbeln uns ein wenig, ob ich auch Angst hatte. Nein, sage ich. Hast du aber gesagt, sagt D. Kann ich mich nicht dran erinnern, meine ich. Ich scheitere bei dem Versuch, ihr eine Riesenbärlauchpusteblume zu schenken, alle Samen fliegen weg.

Mit der S-Bahn fahren wir wieder in die Stadt herein. Na gut. Okay. Ich hatte auch ein wenig Angst.