Dringliche Pariser
BERLINER SZENE über Bedürfnisse im Spätkauf. (aus der taz vom 12. Juni 2010)Im 24-Stunden-Internet-Telecafé-Kiosk mit angeschlossenem Spielautomatenraum am Kottbusser Damm, Kreuzbergseite, blockiert gegen zwei Uhr nachts ein Endzwanziger den Bierkühlschrank. Bestückt mit drei Kölsch, zwei Pils und einer Flasche Sekt geht er schließlich zur Kasse. Ob man hier eigentlich auch Kondome kaufen könne, fragt er leise beim Bezahlen. Nein, das könne man nicht. Das wäre aber mal eine Marktlücke! Ja, stimmt wohl, aber hier gebe es trotzdem keine. Es wäre doch aber wirklich eine Marktlücke! Er sei nicht für den Einkauf zuständig, sagt schließlich der komplett unempathische Verkäufer. Irgendwelche alternativen Vorschläge? Habe er auch keine. Früher hätte man die benachbarte Filiale der Sexshop-Kette “Erdbeermund”, Ecke Schönleinstraße, empfehlen können, aber die musste inzwischen schließen. An ihrer Stelle hat ein weiteres Puzzleteil der Billigkleidungslädenmeile nördlicher Kottbusser Damm (“Mode aus Paris und London”) aufgemacht. Aber dem Mann kann trotzdem geholfen werden. Es gäbe da einen öffentlichen Kondomautomaten, in der Sanderstraße, werfe ich ein. Ach, echt, ja? Wo denn, links oder rechts, vor oder hinter der Hobrechtstraße? Es ist offenbar wirklich dringend! Links, vorher. Man brauche aber drei Ein-Euro-Stücke, anders ginge es nicht. Ich muss das wissen, ich wohne im Nachbarhaus. Hektisch werden Ein-Euro-Stücke beim Verkäufer geordert, am besten gleich fünf, falls eins nicht passt. Und raus ist er. Ich kaufe mein eigenes Bier und gehe langsam nach Hause. Schon von weitem höre ich das satte Geräusch der ausrastenden Metallschublade. Schnellen Schrittes kommt mir der Mann entgegen. Er wirkt jetzt noch aufgeregter. Alles geklappt? Alles geklappt! Aber, ruft er mir noch mit triumphschwangerer Stimme hinterher, eines der Ein-Euro-Stücke hätte wirklich nicht gepasst. |