Von beseelten Steinen und Waldgeistern
In einer sechsteiligen Hommage widmet sich Arte dem japanischen Animationsfilmregisseur Hayao Miyazaki. Aber warum eigentlich erst jetzt? (aus der taz vom 8. April 2010)Eine retrofuturistische fliegende Insel, ein von Gottwesen bevölkertes Badehaus, ein archaischer Märchenwald aus der Shogun-Zeit, eine Endzeit-Erde, die von einem bizarr-schönen Giftpilzwald überwuchert wird, und ein bonbonbuntes Fantasiekönigreich aus dem frühindustriellen Europa, durch das ein Haus auf zwei Beinen stapft – so sieht es aus in der Welt von Hayao Miyazaki, des vielleicht bedeutendsten Animationsfilmregisseurs der Welt, dessen Filme in den letzten 30 Jahren stets zu den beliebtesten und bestbesuchten in ganz Japan gehörten. Es ist etwas rätselhaft, warum Arte Miyazaki erst jetzt eine Werkschau widmet, bestehend aus sechs seiner zehn Filme, die bis zum 22. April immer montags und donnerstags um 20.15 Uhr gezeigt werden – wo sich der mittlerweile 69-Jährige doch gerade im comicaffinen Frankreich großer Beliebtheit erfreut. In Deutschland nahm die Öffentlichkeit erstmals 2002 Notiz von Miyazaki, als „Chihiros Reise ins Zauberland“ den Goldenen Berlinale-Bären gewann. In den vergangenen Jahren wurden dann zwar einige ältere Filme nachträglich ins Kino gebracht und auf Super RTL und RTL II gezeigt, doch Miyazakis neuestes Werk, „Ponyo – Das verzauberte Goldfischmädchen“, auf dessen Ausstrahlung Arte aus rechtlichen Gründen leider verzichten muss, fand trotz einer Wettbewerbsteilnahme in Venedig keinen deutschen Kinoverleiher. Ein Jammer. Denn die Imaginationskraft Miyazakis ist einzigartig. In den von ihm geschaffenen Welten verschwimmen die Grenzen von Realität und Fantasie, bevölkert werden sie von einem Bestiarium sonderbarer Wesen, oftmals ambivalente Charaktere, die nicht dem klassischen Gut-Böse-Schema Hollywoods entsprechen – dabei sind es meist tapfere, tomboyhafte Mädchen, die Miyazaki auf Abenteuerreise schickt. Wie für Anime üblich, sprechen seine Filme Kinder und Erwachsene gleichermaßen an. Und transportieren nebenbei eine klare Haltung gegen Krieg und die fortschreitende Umweltzerstörung. Kennzeichnend für Miyazakis Filme ist die Vermischung von westlichen und östlichen Bild- und Erzähltraditionen: Odysseus, Gullivers Reisen, Jules Verne, Lewis Carroll werden zitiert, dazu bedient Miyazaki sich aus dem prallen Fundus der japanische Sagenwelt, der Anime-Symbolik und beim Shintoismus, jenem animistischen, japanischen Volksglauben, in dem jeder Baum, jeder Fluss, jeder Stein beseelt sein kann. Besonders stark ist der Shinto-Einfluss dabei in „Mein Nachbar Totoro“, der heute Abend läuft, Miyazakis reduziertesten und schönsten Film. Zwei Mädchen, sechs und zehn Jahre alt, freunden sich im ländlichen Japan der 50er-Jahre mit einem Eulenbärenkatzen-Waldgeist an, dem Herren eines gigantischen Kampferbaums. In 80 Minuten passiert so gut wie gar nichts und gerade deswegen ist dieser Film von zenhafter Eleganz, ein traumähnlicher Einblick in die Gedankenwelt von Kindern, kongenial begleitet von der Musik Joe Hisaishis, dem Leibkomponisten Miyazakis. Im Anschluss folgt die etwas verschrobene Dokumentation „Der Tempel der tausend Träume“ über Miyazaki, seinen Kollegen Isao Takahata und ihre gemeinsamen Produktionsfirma Studio Ghibli. Hier kann man die Miyazaki-Werke dann auch mal mit den japanischen Originalstimmen hören – welche die allenfalls passable deutsche Synchronisation, auf die Arte leider zurückgreift, bei weitem übertreffen. |